a. Das Leben
§ 216

Die unmittelbare Idee ist das Leben. Der Begriff ist als Seele in einem Leibe realisiert, von dessen Äußerlichkeit jene die unmittelbare sich auf sich beziehende Allgemeinheit, ebenso dessen Besonderung, so daß der Leib keine anderen Unterschiede als die Begriffsbestimmung an ihm ausdrückt, endlich die Einzelheit als unendliche Negativität ist, - die Dialektik seiner auseinanderseienden Objektivität, welche aus dem Schein des selbständigen Bestehens in die Subjektivität zurückgeführt wird, so daß alle Glieder sich gegenseitig momentane Mittel wie momentane Zwecke sind und das Leben, so wie es die anfängliche Besonderung ist, sich als die negative für sich seiende Einheit resultiert und sich in der Leiblichkeit als dialektischer nur mit sich selbst zusammenschließt. - So ist das Leben wesentlich Lebendiges und nach 8/373 seiner Unmittelbarkeit Dieses Einzelne Lebendige. Die Endlichkeit hat in dieser Sphäre die Bestimmung, daß um der Unmittelbarkeit der Idee willen Seele und Leib trennbar sind; dies macht die Sterblichkeit des Lebendigen aus. Aber nur insofern es tot ist, sind jene zwei Seiten der Idee verschiedene Bestandstücke.

Zusatz. Die einzelnen Glieder des Leibes sind das, was sie sind, nur durch ihre Einheit und in Beziehung auf dieselbe. So ist z. B. eine Hand, welche vom Leibe abgehauen wird, nur noch dem Namen nach eine Hand, aber nicht der Sache nach, wie schon Aristoteles bemerkt. - Vom Standpunkt des Verstandes aus pflegt das Leben als ein Geheimnis und überhaupt als unbegreiflich betrachtet zu werden. Der Verstand bekennt indes hiermit nur seine Endlichkeit und Nichtigkeit. Das Leben ist in der Tat so wenig ein Unbegreifliches, daß wir an demselben vielmehr den Begriff selbst und näher die als Begriff existierende, unmittelbare Idee vor uns haben. Hiermit ist dann auch sogleich der Mangel des Lebens ausgesprochen. Dieser Mangel besteht darin, daß hier Begriff und Realität einander noch nicht wahrhaft entsprechen. Der Begriff des Lebens ist die Seele, und dieser Begriff hat den Leib zu seiner Realität. Die Seele ist gleichsam ergossen in ihre Leiblichkeit, und so ist dieselbe nur erst empfindend, aber noch nicht freies Fürsichsein. Der Prozeß des Lebens besteht dann darin, die Unmittelbarkeit, in welcher dasselbe noch befangen ist, zu überwinden, und dieser Prozeß, welcher selbst wieder ein dreifacher ist, hat zu seinem Resultat die Idee in der Form des Urteils, d. h. die Idee als Erkennen.

§ 217

Das Lebendige ist der Schluß, dessen Momente selbst Systeme und Schlüsse (§ 198, 201, 207) in sich sind, welche aber tätige Schlüsse, Prozesse, und in der subjektiven Einheit des Lebendigen nur ein Prozeß sind. Das Lebendige ist so der Prozeß seines Zusammenschließens mit sich selbst, das sich durch drei Prozesse verläuft.

§ 218

1. Der erste ist der Prozeß des Lebendigen innerhalb seiner, in welchem es sich an ihm selbst dirimiert und sich seine 8/374 Leiblichkeit zu seinem Objekte, seiner unorganischen Natur, macht. Diese als das relativ Äußerliche tritt an ihr selbst in den Unterschied und Gegensatz ihrer Momente, die sich gegenseitig preisgeben und eins das andere sich assimilieren und sich selbst produzierend erhalten. Diese Tätigkeit der Glieder ist aber nur die eine des Subjekts, in welche ihre Produktionen zurückgehen, so daß darin nur das Subjekt produziert wird, d. i. es sich nur reproduziert.

Zusatz. Der Prozeß des Lebendigen innerhalb seiner selbst hat in der Natur die dreifache Form der Sensibilität, der Irritabilität und der Reproduktion. Als Sensibilität ist das Lebendige unmittelbar einfache Beziehung auf sich, die Seele, welche überall gegenwärtig ist, in ihrem Leibe, dessen Außereinander für sie keine Wahrheit hat. Als Irritabilität erscheint das Lebendige in sich selbst dirimiert, und als Reproduktion ist dasselbe aus dem inneren Unterschied seiner Glieder und Organe sich stets wiederherstellend. Das Lebendige ist nur als dieser sich fortwährend erneuernde Prozeß innerhalb seiner selbst.

§ 219

2. Das Urteil des Begriffs geht als frei aber dazu fort, das Objektive als eine selbständige Totalität aus sich zu entlassen, und die negative Beziehung des Lebendigen auf sich macht als unmittelbare Einzelheit die Voraussetzung einer ihm gegenüberstehenden unorganischen Natur. Indem dies Negative seiner ebensosehr Begriffsmoment des Lebendigen selbst ist, so ist es in diesem, dem zugleich konkreten Allgemeinen, als ein Mangel. Die Dialektik, wodurch das Objekt als an sich Nichtiges sich aufhebt, ist die Tätigkeit des seiner selbst gewissen Lebendigen, welches in diesem Prozeß gegen eine unorganische Natur hiermit sich selbst erhält, sich entwickelt und objektiviert.

Zusatz. Das Lebendige steht einer unorganischen Natur gegenüber, zu welcher es sich als dessen Macht verhält und die es sich assimiliert. Das Resultat dieses Prozesses ist nicht wie beim chemischen Prozeß ein neutrales Produkt, in welchem die Selbständigkeit der beiden Seiten, welche einander gegenübergestanden, aufgehoben ist, sondern das Lebendige erweist sich als übergreifend über sein Anderes, welches seiner Macht nicht zu widerstehen 8/375 vermag. Die unorganische Natur, welche von dem Lebendigen unterworfen wird, erleidet dies um deswillen, weil sie an sich dasselbe ist, was das Leben für sich ist. Das Lebendige geht so im Anderen nur mit sich selbst zusammen. Wenn die Seele aus dem Leibe entflohen ist, so beginnen die elementarischen Mächte der Objektivität ihr Spiel. Diese Mächte sind sozusagen fortwährend auf dem Sprunge, ihren Prozeß im organischen Leibe zu beginnen, und das Leben ist der beständige Kampf dagegen.

§ 220

3. Indem das lebendige Individuum, das in seinem ersten Prozeß sich als Subjekt und Begriff in sich verhält, durch seinen zweiten seine äußerliche Objektivität sich assimiliert und so die reelle Bestimmtheit in sich setzt, so ist es nun an sich Gattung, substantielle Allgemeinheit. Die Besonderung derselben ist die Beziehung des Subjekts auf ein anderes Subjekt seiner Gattung, und das Urteil ist das Verhältnis der Gattung zu diesen so gegeneinander bestimmten Individuen; - die Geschlechtsdifferenz.

§ 221

Der Prozeß der Gattung bringt diese zum Fürsichsein. Das Produkt desselben, weil das Leben noch die unmittelbare Idee ist, zerfällt in die beiden Seiten, daß nach der einen das lebendige Individuum überhaupt, das zuerst als unmittelbar vorausgesetzt wurde, nun als ein Vermitteltes und Erzeugtes hervorgeht; daß nach der anderen aber die lebendige Einzelheit, die sich um ihrer ersten Unmittelbarkeit willen negativ zur Allgemeinheit verhält, in dieser als der Macht untergeht.

Zusatz. Das Lebendige stirbt, weil es der Widerspruch ist, an sich das Allgemeine, die Gattung zu sein und doch unmittelbar nur als Einzelnes zu existieren. Im Tode erweist sich die Gattung als die Macht über das unmittelbar Einzelne. - Für das Tier ist der Prozeß der Gattung der höchste Punkt seiner Lebendigkeit. Dasselbe gelangt aber nicht dazu, in seiner Gattung für sich zu sein, sondern es erliegt der Macht derselben. Das unmittelbar Lebendige vermittelt sich im Prozeß der Gattung mit sich selbst und erhebt 8/376 sich so über seine Unmittelbarkeit, aber nur um immer wieder zu derselben zurückzusinken. Das Leben verläuft sich hiermit zunächst nur in die schlechte Unendlichkeit des Progresses ins Unendliche Was indes dem Begriff nach durch den Prozeß des Lebens zustande kommt, das ist die Aufhebung und Überwindung der Unmittelbarkeit, in welcher die Idee als Leben noch befangen ist.

§ 222

Die Idee des Lebens aber hat damit sich nicht nur von irgendeinem (besonderen) unmittelbaren Diesen befreit, sondern von dieser ersten Unmittelbarkeit überhaupt; sie kommt damit zu sich, zu ihrer Wahrheit; sie tritt hiermit als freie Gattung für sich selbst in die Existenz. Der Tod der nur unmittelbaren einzelnen Lebendigkeit ist das Hervorgehen des Geistes.